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Märchen für Erwachsene

 

Die Käsespezialisten

 

Vor vielen Jahren, als die Menschen noch im Einklang mit der Natur lebten, als noch keine Mausefallen erfunden waren, da gab es in der Zentralschweiz besondere Käsespezialisten.

Berühmt für ihre exzellente Arbeit waren der Mäuserich Alexander und seine Schwester Babette. Beide hatten sich entgegen dem damaligen Trend frühzeitig spezialisiert. Babette war zuständig für die milderen Käsesorten, vom Camembert bis zum Tilsiter, Alexander beschäftigte sich mit den würzigeren Bergkäsen, angefangen vom Appenzeller bis zum Greyerzer. Recht bald bekamen beide verlockende Angebote aus dem Französischen. Dort suchte man händeringend erfahrene Käsespezialisten, besonders in der Sparte Rohmilchkäse. Alexander und Babette blieben jedoch in ihrer Heimat und leisteten erstklassige Arbeit.

So eine Käseprüfung musste nach festen Regeln durchgeführt werden. Es gab die kleine Prüfung, die für die Routinekontrollen konzipiert war. Neben den drei Geschmacksstufen mild, würzig und rassig wurden die Beißfestigkeit und der Nachgeschmack bestimmt. Keine Käserei konnte es sich leisten ohne diese Prüfung ihre Käsesorten auf den Markt zu geben. Sie wären nicht verkäuflich gewesen. Vielleicht weit im Osten, drüben im Bayerischen, dort hatte man wenig Ahnung von Käsegeschmack. Dort wurden noch Emmentalersorten verzehrt, die in der Schweiz höchstens als Trockenfutter durchgegangen wären.

Die umfassendere Prüfung war ausschließlich den Prädikats- oder Gourmetkäsesorten vorbehalten. Jeder einzelne Käseleib erhielt einen Jahrgangsstempel, in der Mitte stand „Echt Schweizer Käse“.

Über die kleine Prüfung hinaus wurde der Käseduft beurteilt. Dies musste unbedingt in einem geschlossenen Raum stattfinden. Es durfte kein Fenster offen sein und es durften keine anderen Käsesorten in diesem Raum gelagert sein. Alexander brachte es zu allerhöchsten Ehren in Sachen Duftbeurteilung. Seit Jahren durfte er sich als Einziger in der Zentralschweiz ‚Meister des Käseduftes’ nennen. In der italienisch sprechenden Schweiz, ganz unten im Engadin, gab es noch einen ‚Meister des Käseduftes’ mit dem klingenden Namen ‚Majestro Alfonso di Formaggio’.

Es konnte schon mal passieren, dass sich die beiden Duftspezialisten bei internationalen Käsekonferenzen in die Haare gerieten. Alexander beurteilte einen seltenen Hartkäse‚ nach Bergwiesen duftend mit sahnig-cremigem Charakter. Alfonso hingegen behauptete, das der Käse nach Almwiesen duftend mit cremig-sahnigem Charakter riechen würde. Beide Duftspezialisten rückten kein Jota von ihrer Meinung ab, sodass der Kongressleitung nichts anderes übrig blieb, als den getesteten Käse von der Liste zu streichen. Seitdem erreichte dieser Hartkäse auf inoffiziellen Käsemessen höchste Liebhaberpreise. Man munkelte gar, dass Alfonso und Alexander nicht ganz unschuldig an dieser Preistreiberei waren. Nun, nachweisen konnte man den Beiden nichts.

 

Babette war eine bescheidene Mäusedame. Sie widmete sich ausschließlich ihrem Beruf. Für eine Mäusefamilie war keine Zeit, auch wenn Alexander immer mal wieder das Thema zur Sprache brachte. Sie wollte nichts davon wissen. Dabei war Babette äußerst attraktiv. Ihr geschmeidiges Fell, die zierlichen Pfötchen, die üppige Mäusefigur fielen so manchem Mäuserich auf. Nur, Babette hatte keine Augen für derlei Schnickschnack. Zusammen mit ihrem Bruder widmete sie sich ausschließlich den diversen Käsesorten und war glücklich dabei.

  

Eines Tages, sie war gerade dabei einen zarten Camembert zu beurteilen, kam Dimitrios ins Käselabor. Dimitrios war griechischer Käsespezialist mit dem Spezialgebiet ‚Feta’.

Durch eine internationale Austauschaktion wurden diese Käsekenner aus ganz Europa in die verschiedensten Käseregionen gesandt. Alexander war momentan in Holland, um sich näher mit dem Gouda zu beschäftigen und Dimitrios wollte eingehende Duftstudien mit Schweizer Hartkäse betreiben. Nur Frankreich nahm  nicht an der Austauschaktion teil. Sie wollten sich nicht zu genau in ihre Rohmilchkäseproduktion hineinschauen lassen. Ebenso wollten die Franzosen die berühmte Grotte von Cambalou aus der Austauschaktion herausnehmen. Ihren Roquefort – Käse sollten alle auf der Welt essen, nicht nachahmen. So sprach der französische Käsegesandte Paul Pierre, ein untersetzter Mäuserich mit dichtem Schnauzhaar, in der Vorbereitungskonferenz. Damit hatte er die größte Käsenation isoliert. Die Austauschaktion wurde ohne die Franzosen geplant.

 

Die zarten Schnauzhaare von Dimitrios stellten sich für einen Moment waagrecht. Das war Babette nicht entgangen. Jeden anderen Schnösel hätte sie sofort zurechtgewiesen, bei Dimi war das was anderes. Mit einem koketten Lächeln trippelte sie zu ihm.

„Willkommen bei uns in der Schweiz Dimitrios. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit.“ Dabei lies sie ihre Schnauzhaare verdächtig lange an Dimis Fell entlang streicheln.

Es muss noch gesagt werden, dass damals Mäuse überall auf der Welt die gleiche Sprache sprachen, wenn es auch verschiedene Dialekte gab, sie verstanden sich untereinander. Nicht so wie bei den Menschen. Die verstehen sich nicht mal in der gleichen Sprache.

 

Babette und Dimitrios teilten sich ihre Laborstunden gemeinsam ein. So konnten sie den ganzen Tag zusammen sein. Sie brachte ihm eine Menge über Schweizer Käse bei. Er war beeindruckt von ihrem Spezialwissen. Babette machte es riesigen Spaß mit Dimi zusammen im Labor zu arbeiten. Oft waren sie bis in die hellen Morgenstunden hinein beschäftigt. Beinahe wäre es sogar passiert, dass sie von den Menschen überrascht worden wären.

 

Ach ja, das habe ich euch noch nicht erzählt. Die Mäuse arbeiteten natürlich nachts in den Käsereien. Da wurden sie nicht von Menschen gestört. Tagsüber hatten sie Feierabend.

(c) by Fabrizius

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