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Gedanken eines Rentners - 1. Staffel


01.) Frühmorgens nach einem Spaziergang mit Hund

Es ist nicht irgendein Hund, es ist unser Camillo, ein zwölf Monate alter Cockerdoodlerüde. Ein aufgewecktes Kerlchen.
Wir gehen zusammen eine Runde um die zweieinhalb Kilometer. Camillo braucht das und ich auch. Beim Spazierengehen sind wir ein eingespieltes Team.

Erst mal liest Camillo Zeitung!
Hunde haben eine feine Nase, die Lesen damit.
Da wird geschnüffelt, was das Zeug hält.
Danach weiß er, welche Hundekumpel vorbeigegangen sind und ob der Igel wieder in der Nacht auf Futtersuche war. Er entdeckt eine Blindschleiche und tief im Gebüsch irgendwelchen Unrat, den so ein Saubär illegal entsorgte. Immer und überall gibt es was zum Schnüffeln. Langweilig wird uns beiden nicht.

Nach einer guten Stunde machen wir uns auf den Heimweg. Dann ist nichts mehr mit Rumspringen und Schnüffeln. Camillo muss jetzt brav im »bei mir« an meiner linken Seite gehen, ohne irgendwelche Hundemätzchen.
Das klappt meistens, solange wir alleine sind.
Zuhause bekommt er sein Fressen und ich nehme meine Tabletten.


02.) Auf dem Balkon am Sonntagmorgen

In aller Stille sitze ich am Schreibtisch. Ganz still ist es natürlich nicht. Um mich herum Vogelgezwitscher, da geht einem das Herz auf.
Über die Sommermonate habe ich einen Schreibtisch auf dem Balkon stehen. Den Luxus gönne ich mir.
Bei anderen steht eine Liege rum, die brauche ich nicht, obwohl neben meinem Schreibtisch noch Platz wäre.
In der Ferne höre ich einen Hund bellen. Das stört nicht weiter. Camillo, unser Hund bellt nur selten. Er weiß, wie er sich auf dem Balkon zu benehmen hat.

Prinzipiell wäre es möglich, sich diese Gedanken an einem x-beliebigen Wochentag zu machen, schließlich ist man Rentner. Das Wort »Pensionär« ist Beamten vorenthalten, ich war nie Beamter. Ich meide dieses Wort.

Wenn ich jetzt nicht auf unserem Balkon an meinem Schreibtisch sitzen würde, könnte ich woanders sein. In Südtirol zum Beispiel, da fahren wir gerne hin, oder an den Gardasee. Das ist alles nicht so weit weg.
Ich fahre nicht gerne Auto, auch früher nicht. Wo ich nur kann, drückte ich mich davor. Das ist auch der Grund, warum ich jetzt zu Hause auf dem Balkon sitze.
Über irgendetwas regt sich der Hund auf. Er bellt immer noch! Hunde bellen nie grundlos. Aber das soll uns jetzt nicht weiter stören.

Morgens sind keine Heißluftballons am Himmel, erst am späten Nachmittag. Da sieht man oft mehrere auf einmal. Hat das was auf sich? Gibt es einen Grund dafür? Ich muss mal einen Ballonfahrer fragen. Ja ja, die fahren, mit Fliegen haben die nichts am Hut.

Den ganzen Vormittag verbrachte ich auf dem Balkon. Jetzt höre ich das Mittagsgeläut von der nahen Kirche. Ich mag das, genau so, wie das Abendläuten. Es hat seinen festen Platz im Tagerhythmus. Es ist ein Stück Niederbayern, so wie bei mir der Sonntagmorgen auf dem Balkon.


03.) Nach dem Mittagessen beim Abspülen.

Es soll Männer geben, die scheuen das Abspülen wie der Teufel das Weihwasser. Da gehöre ich nicht dazu!

Wir haben ja eine Maschine dafür, aber so zwischendurch große Töpfe und Pfannen muss sein. Letztere spüle ich grundsätzlich mit der Hand. Pfannen haben in der Spülmaschine nichts verloren.
Und der alte hölzerne Kochlöffel, ein Erbstück von Doris' Oma, auch. Dem ollen Knaben kann man eine Maschinenwäsche nicht mehr zumuten.

Im Abspülen bin ich gut, das sagt selbst meine Frau. Da macht mir so schnell Keiner was vor.

Es ist ja jeden Tag das Gleiche, es muss aber sein. Alternativ wäre Einmalgeschirr oder auswärts essen. Ich denke, eine Begründung, warum wir das nicht machen, erübrigt sich.

Heute Morgen las Doris in der Zeitung was über »Flexitarier«. Ich verstand erst mal nur Bahnhof. Dann wurde ich aufgeklärt. Flexitarier sind Menschen beiderlei Geschlechts, die nur ab und zu Fleisch essen. Ich überlegte eine Weile und fand, dass genau das auf uns zutrifft. So als Flexitarier fühlt man sich als was Besonderes, das will ich nicht leugnen. Ich spürte das sofort.
Im Gegensatz zu den»Fastfoodtariern« oder »Dosentariern«. Das sind die, die auch »Coffee to Go« trinken und Instantsuppen schlürfen.


04.) Nach drei Viertele Wein über das Rentnerdasein

Es war ein vorzüglicher Südtiroler Chardonnay aus Kaltern am See, die Flasche um die Achtzehn Euronen.
»Ein guter Tropfen«, wie man zu sagen pflegt.

Das wollte ich vorausschicken, damit Sie auch wissen, dass ich durchaus einen guten Wein zu schätzen weiß.

Nachdem das geklärt ist, zum eigentlichen Thema.
»Wie sieht ein Rentner sein Rentnerdasein?«

Noch was, das vergaß ich oben. Für alle Nichtweintrinker. Drei Viertele sind eine Flasche. Das ist für einen Weintrinker eine durchaus übliche Dosis. Besoffen ist man davon nicht!

Zunächst möchte ich mit einem Klischee aufräumen.
»Rentner haben keine Zeit!«

Natürlich haben sie Zeit, jede Menge sogar. Nur, sie bestimmen darüber und nicht die Menschen um sie herum!
Rentner sind nicht fremdgesteuert, sie setzen ihre Prioritäten alleine! Kein Chef, kein Dienstplan, keine Frist kann sie beeinflussen.

Es ist meine Zeit, damit mache ich, was ich will!

Ich gebe gerne zu, auch mal sturköpfig zu sein. Auch das darf ein Rentner! In den langen Jahren seines Lebens hat er darin genug Erfahrung gesammelt, die ihm jetzt zu Gute kommt.
Trotzdem ist Flexibilität vorhanden. Sturköpfig heißt nicht unflexibel sein.
Von einem auf den anderen Tag kann ich meine Meinung oder meine Planung ändern, und das ohne mit der Wimper zu zucken. Da kenne ich nichts!
Ein Normalsterblicher, der nicht Rentner ist, tut sich schwer damit. Der hat seine Verpflichtungen, seinen Job und was weiß ich noch alles am Bein.
Ich bin als Rentner nur mir selbst verpflichtet und natürlich meiner Frau. Das ist aber überhaupt kein Problem, das ist auch jahrelange Übung.

Eines muss ich noch loswerden. Natürlich saufe ich nicht jeden Abend so eine teure Flasche Wein aus. Das kommt schon mal vor, ok, ab und an halt!

Auf alle Fälle ist so ein guter Tropfen ein Motivator fürs Schreiben. Wein ist ein »Brandbeschleuniger« in Sachen Ideenfindung.


05.) Nach einem faulen Nachmittag.

Wenn Du rein gar nichts vor hast, ist das richtig schön. Ich bezeichne es als »in sich selbst ruhen«. Andere nennen es »Abhängen« oder »Chillen«.
Wenn man sich in diesen Zustand versetzen kann, passt alles. Es ist egal, ob das auf der Liege, im Sessel oder im Bett zelebriert wird. Es braucht auch keine Vorbereitung dazu, es passiert einfach.
Zwei bis drei Stündchen sind die Regel. Mit absoluter Gelassenheit und innerer Zufriedenheit wird der Körper durchströmt. Es ist Erlebnis pur!

Als Rentner muss ich mich von nichts erholen. Ich mache das, weil es mich überkommt. Ein wunderbares Gefühl. Sowas wird selbstverständlich nicht geplant. Wenn es kommt ist es da, das »In-sich-Ruhen«.

Unser Hund Camillo chillt mit. Er fläzt sich neben mich, ich streichele sein weiches Fell, schalte all meine Gedanken ab und ruhe in mir. Dazu brauche ich keine fernöstliche Einleitung, das geht niederbayrisch genau so.

Ein feiner Stupser mit der Schnauze signalisiert mir, »ich bin auch da!« Dann genießen Camillo und ich zusammen den Nachmittag, bis meine Frau kommt und sagt: »Du musst den Müll noch rausbringen!«


06.) Über den Alltag eines Rentners

Wenn ich zuhause rumhänge, dann hat das einen tieferen Sinn. Als Rentner hat alles einen tieferen Sinn.

Stehst Du noch im Berufsleben, erledigst Du so viel Unsinniges. Im Rentenalter ist endgültig Schluss damit.
Jetzt mache ich nur das, was ich will und das ist nie sinnlos. Nennen Sie es Egoismus, ich nenne es Verwirklichung.

Als Rentner können Sie ganz andere Prioritäten setzen, da kann ein Berufstätiger nur von träumen.
Ich möchte damit jetzt nicht ins Detail gehen. Es geht schließlich ums große Ganze. Wir Rentner haben es nicht nötig uns unter ein Diktat zu stellen. Wir agieren frei, nur uns selbst verpflichtet.

Ich weiß, was Sie jetzt denken:
»Der hat ’ne Macke weg!«
Denken Sie das ruhig, auch Sie werden den Weg finden. Es braucht seine Zeit.

Natürlich haben wir Rentner auch Verpflichtungen. Gegenüber der Familie, den Menschen um uns herum und gegenüber der Gesellschaft. Wir sind ja keine Revoluzzer, meistens jedenfalls nicht!
Gemeinschaft bedeutet uns viel, wenn auch nicht alles!

Ich gebe es zu, das alles klingt anmaßend. So ist es aber keineswegs! Unser Verhalten resultiert aus unserer Erfahrung und unserer langjährigen gesellschaftspolitischen Analyse. Dadurch kommt natürlich niemand zu Schaden und keiner muss sich deswegen verletzt fühlen. Die Freiräume, die wir Rentner beanspruchen, schränken niemanden ein.

Dafür haben wir andersgeartete Einschränkungen. Wir können nicht mehr so flott eben mal auf einen Berg steigen. Dazu fehlt uns die Luft. Ein Glaserl Zuviel hängt uns zwei bis drei Tage nach.
Die Augen sind nicht mehr die Allerbesten. Eine Brille ist stetiger Begleiter.  Wir hören nicht mehr so gut, was ab und zu durchaus Vorteile mit sich bringt.
Die eine oder andere Pille müssen wir einschmeißen. Hin und wieder melden sich die Gelenke. Das Drehen des Kopfes beim Rückwärtsfahren wird mühsamer und ein Waschbettbauch ist auch nicht mehr drin,.

Sie sehen, auch wir haben unsere Grenzen. Wir Rentner werden vom Macher zum Genießer. Das dauert, bis wir das verinnerlicht haben. Aber, wenn es soweit ist, dann gibt es kein Halten mehr, dann genießen wir in vollen Zügen. Dann wird jeder Tag zum Highlight. Der Alltag wird bunt.


07.) Zum Thema Angeln und Schreiben

Können Sie sich vorstellen, stundenlang hinter einer Angelrute zu sitzen? Es liegt mir fern, das schlecht zu reden. Ich kann mir das nur vorstellen, wenn ich dabei schreiben kann.
Wäre interessant. »Angeln und Schreiben«.
Zur Not kann man den Wurm am Haken weglassen, dann stört nicht mal der Fisch.
Wenn einer fragt: »Na, schon was gefangen?« Antworte ich: »Gewiss!, und Sie?«

Allenthalben angelt man ja, um einen Fisch zu fangen. Das ist heute nicht mehr lebensnotwenig. Fisch kannst Du überall kaufen und wenns nur »Hering in Tomatensauce« ist. Früher war das ganz anders, davon musste die Sippe ernährt werden. Heute würden wir sagen: »Das war existentiell«.

Dafür braucht es heute einen Angelschein. Das kannten unsere Altvorderen nicht. Die konnten nicht mal lesen, was sollten sie mit so einem Wisch anfangen.

Solch einen Angelschein besitze auch ich. Heute gibt es den nur nach bestandener Fischerprüfung. Meiner ist schon so alt, ich musste keine Prüfung ablegen. Aber, alle paar Jahre ließ ich ihn verlängern. Da war seinerzeit das Landratsamt zuständig. Natürlich gegen eine Verlängerungsgebühr.

Während all den Jahren habe ich kein einziges mal die Angel ausgeworfen. Der Angelschein lag nutzlos zuhause rum. Als Rentner könnte ich das aktivieren. Möglichkeiten gibt es ja genug rund um Passau.
Dann setzte ich mich mitsamt Angelzeugs und Schreibutensilien an die Donau oberhalb vom Kachlet und bade den Wurm. Ich trau mich wetten, dass die PaWo daraus einen Artikel machen würde.

Irgendwo in der Garage ganz hinten muss meine Angelrute rumfliegen. Auch nach mehreren Umzügen brachte ich es nicht übers Herz, das Ding wegzuschmeißen.

Manchmal geht es in meinem Hirnkastl recht komisch zu. Irgendwie bin ich auf’s Angeln gekommen und weiß nicht mehr warum. Jetzt spuckt es mir andauernd, schon seit Tagen, im Kopf herum. Ja, gerade zur fixen Idee ist das geworden: »Ich will angeln!«

Das ist ja nicht weiter schlimm, aber wenn meine Frau das spitzkriegt, komme ich in Erklärungsnot.

Nüchtern betrachtet ist Angeln nichts für Rentner. Das ist eindeutig zu statisch. Ich würde das ja nicht um des Angelns willen, sondern wegen des Schreibens machen. Und um einen Gag zu landen, um in die PaWo zu kommen.

 


08.) Warum es vierlagig sein muss.

Sie vermuten richtig, Toilettenpapier ist gemeint.
Das gibt es in allen Duftvariationen. An Weihnachten sogar mit Lebkuchenduft. Ist das nicht irre!? Der Allerwerteste duftet nach der Notdurft nach Lebkuchen. Den Menschen möchte ich treffen, der diese Idee hatte.

Schon bald werden wir die ersten Nikoläuse in den Regalen sehen. Ich muss doch mal schauen, ob nicht zeitgleich das nach Lebkuchen duftende Toilettenpapier im Handel erscheint.

Vierlagig mit Aloe Vera ist ja momentan der Mercedes unter den Klopapieren, oder haben Sie schon mal Fünflagiges gesehen. Ich will nicht behaupten, dass es das nicht gibt. Vielleicht in ein paar überteuerten Designerläden, die auch Toilettenbürsten mit biologisch gebleichten Naturborsten von der Wildsau im Sortiment haben.

Wir bleiben beim Toilettenpapier. Wenden wir uns zunächst dem einfachen Modell zu. Da ist nichts mit Lagen. Von der Rolle zieht man ein dünnes Papierl, welches man ob einer schlechten Perforation nicht mal exakt abreißen kann. Dann muss man es mindestens doppelt, wenn nicht dreifach nehmen, um auf der sicheren Seite zu sein.

Wenn ich meine Gedanken zurückschweifen lasse in die Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts, war da nichts mit Klopapier von der Rolle.
Die Tageszeitung, so man sie abonniert hatte, wurde im Toilettenhäuschen deponiert. Man riss ein Stück davon ab, knüllte es ein paarmal zusammen, damit es anpassungsfähiger wurde, und führte damit aus, was ausgeführt werden musste.

Damals, so sagt man, seien Hämorrhoiden wesentlich seltener gewesen als heutzutags. Das, so meinen ein paar, die es wissen müssen, sei der Druckerschwärze geschuldet, die ihre adstringierende Wirkung zwischen den Pobacken freisetzte. Die dadurch entstandenen Heilkräfte drangen durch den Schließmuskel und verhinderten diese lästige Krankheit.

Somit war besagte Druckerschwärze in selbiger Anwendung die erste Präventivmaßnahme überhaupt, lange bevor das Wort »Prävention« in die Medizin Einzug hielt.

Die Herstellung von Toilettenpapier verbraucht einiges an Ressourcen. Dem könnte entgegengesteuert werden, wenn wir wieder auf das ursprüngliche Zeitungspapier zurückgreifen würden. Das wäre auch ein Grund mehr, die klassischen Printmedien nicht in Frage zu stellen.
Zeitung kann man auch elektronisch lesen. Von einer Toilettenpapier-App habe ich noch nie gehört, und soweit ich weiß sind solche Überlegungen bei Apple und Co. auch nicht in der Mache.


09.) Über das Volksfest im Allgemeinen

Ein eifriger Volksfestbesucher war ich nie. Gelegentlich mal auf ein bis zwei Stündchen ist ok., das war's dann auch!
Ganze Abende auf Bierbänken verbringen, einen Höllenlärm im Ohr, nein danke!

Während meiner Studentenzeit in München wohnte ich nahe an der Theresienwiese, in München einfach »Wies’n« genannt. Da bekam ich hautnah die hässliche Fratze des Oktoberfestes mit. Kotzende, kopulierende, pinkelnde und ihren Rausch ausschlafende Individuen unter der Bavaria. So ein Bild brennt sich ein.

Später, während meiner Zeit als Sportvereinsfunktionär, stand ich bei Festivitäten oft hinter dem Tresen oder dem Grill. Ich sah Menschen beiderlei Geschlechts, wie sie sich innerhalb weniger Stunden zusoffen. Da konnte man Wetten abschließen, wann sie die Schwerkraft niederrang.

Nein, das war nie mein Ding! Es gab richtige Kampftrinker, die ihr Weißbier mit Escorial scharfmachten. Die stemmten diese grüne Brühe auf ex, und wankten anschließend sturzbesoffen durch die Bankreihen. Wahrlich kein schöner Anblick.

Ich will nicht alles schlecht reden. Nein, sicher nicht! Es gibt auch schöne Momente!
So a knuspriges Hendl, oder an Steckerlfisch und a Maß Bier dazu. Vielleicht no an Kas mit Pfeffer und Salz und a resche Brenzn. Das gehört dazu!
A bisserl Prater fahrn, Zuckerwatte schlecken, a Herzerl für’s Herzerl kaufen. Das ist was Schönes.

Was ich nicht abkann ist die laute Musik. Da wummern die Bässe so stark, da schwingt der Magen mit und verstehen tut man sowieso nichts.

Deshalb beschränke ich meine Bierzeltbesuche, wenn überhaupt, auf den Mittag oder den frühen Nachmittag. Dann ist das ganze überschaubar, der Bierdunst erträglich und die Schreihälse schlafen ihren Rausch vom Vortag noch aus.
Das ist mein Volksfest! So mag ich es!

 


10.) Über das Volksfest im Besonderen

Eine Gattung Mensch trifft man immer im Bierzelt. Jedenfalls bei allen offiziellen Anlässen, die da wären: O’zapft is!, Schaftkopfturnier, Modenschau, Tag der Betriebe, Kundgebung des Landwirtschaftsministers, Altennachmittag und was weiß Gott noch alles.

Genau, die Politprominenz gibt sich die Ehre. Die san immer da!

Da gibt es viele Hände zu schütteln, es werden dutzende von Schulterklopfern verteilt und jede Menge Schmarrn dahergeredet. Bei den Politfuzzies ist der Trachtenjanker das vorherrschende Kleidungsstück. So ganz in Krachlederner kommt so mancher nicht gerade vorteilhaft rüber. Aber Trachtenjanker geht immer.

Und was der Trachtenjanker bei den nobligen Herren ist das Dirndl bei den politischen Damen. Von diesen Damen gibt es ja nicht allzu viele bei der Regierungspartei. Aber bei denen, die es gibt, ist das Dirndl angesagt. Sie gehen auch subtiler durch die Bankreihen, interessieren sich für den Nachwuchs oder das Obstgart'l.  Die machen es besser als die Trachtenjanker tragenden Platzhirsche.

Wehe, es wird einer von denen gebeten, irgend ein Grußwort zu sagen. Grußworte gehen immer, der Anlass kann nicht klein genug sein.
Das ist nicht zum Aushalten, das dauert und dauert, dabei wäre ein schlichtes »Grüß Gott, schön dass es da seits, I gfrei mi drüber!«, genau das Richtige. Aber manche reden und reden und lassen selbst die Kostenschätzung der Kanalisation von vor fünfundzwanzig Jahren nicht aus.

Noch eine Spezies fehlt nie bei solchen Anlässen, die hohe Geistlichkeit. Di san immer dabei! A paar Biermarkerl werden alleweil rübergeschoben, ob vom Bürgermeister oder Brauereivorstand. Ein niederbayrisches Volksfest ohne den Segen von ganz oben geht gar nicht! Und die leibliche Verkörperung desselbigen, nämlich Hochwürden himself, muss natürlich hofiert werden.

Es gibt so manchen vergeistigten Soutanenträger, der am Bier nippt und auch sonst den Eindruck macht mit all der Gaudi nichts anfangen zu können.

Aber dann gibt es, Gott sei’s gedankt, den bajuwarischen Gottesmann, der beim Schweinernen kräftig zuglangt und so a paar Maß wegsteckt. Gegen so a kloans Reuscherl hat der Herrgott in all seiner Güte gewiss nichts. Und solange Hochwürden einigermaßen gerade und nicht gerade als Letzter das Bierzelt verlässt wird er allseits als umgänglicher, dem Volke zugewandter Priester gesehen. So mögen’s den Herrn Pfarrer in der Gemeinde.

Wir sind noch nicht fertig. Da gibt es noch den Schirmherren! Den braucht es immer! Gelegentlich und seit neuestem soll es auch die eine oder andere Schirmdame geben. Im Niederbayrischen wird das die absolute Ausnahme bleiben, da bin ich mir sicher!

Ein Schirmherr, aus der Kategorie Bürgermeister, Landrat, vielleicht noch Abgeordneter, muss jeden Tag präsent sein. Er muss sich die obligatorische Maß reinziehen, Fröhlichkeit versprühen und so ganz nebenbei für seine nächste Wiederwahl sorgen, die so sicher kommt wie das nächste Hochwasser.

So ein Schirmherr hat fast immer ein paar »Festdamen« um sich herum. Die werden gelegentlich auch »Ehrendamen« genannt. Zumeist sind das halbwüchsige Fratzen, deren Papa irgendwo irgendwas zu sagen hat. Die werden in niedliche Kleidchen gesteckt, natürlich mit Schärpe und aufgebrezelt mit allem, was billig und von Avon ist. So winken und grinsen sie dann während des gesamten Festzuges.

Genau, hätte ich doch beinahe vergessen. Ein Festzug gehört alleweil dazu. Ganz traditionsbewusste Vereine stellen auch noch einen Kirchenzug auf. Angeführt werden beide, wie könnte es anders sein, vom Schirmherren und, na raten Sie mal! Genau, von der hohen Geistlichkeit. Ich erwähnte es ja oben schon, die san alleweil dabei.
Dann hüpfen die Festdamen um all die Großkopferten, das Volk klatscht, die Väter der Festdamen sind stolz auf ihren Nachwuchs und so manchem gestandenem Mannsbild wird die Kehle trocken ob dem vielen G'schau.

Dann endlich isses soweit. Wenns gut geht mit zwei bis drei Schlägen, wenn’s schief geht mit Bierdusche und Damengeschrei beginnt das Fest auch offiziell.

O’zapft is!

 


11.) Im Einkaufszentrum

Vor vielen Jahren, wirklich vor ganz vielen Jahren, saß ein Marktweiberl auf dem Münchner Viktualienmarkt. Vor ihm stand ein grosser Henkelkorb voll mit Mossrösschen. Auf dem Korb lag ein Pappschild, darauf stand in verschnörkelnder Schrift:
1 Bd. Moosrösschen      3 M
3 Bd.    ''    ''   ''   ''    10 M

Das war die intelligenteste Reklame, die ich je sah!
Alle, die bei der Alten ihre Mossrösschen erstanden, nahmen drei Bund. Die Leute lachten dabei und gaben ihr die zehn Mark. Verschmitzt lachte sie zurück und strich das Geld ein, zupfte noch etwas an den Sträußerl herum und überreichte sie ihren Kunden.

Können Sie sich so ein Szenario heute in einer Shoppingmall vorstellen? Bis auf die Tatsache, dass sie dort keine Moosrösschen bekommen, können Sie keinerlei Vergleiche anstellen.
Dort herrscht »Sale«. Es prangt an jedem Schaufenster, steht auf den Plakaten, hängt von der Decke, ist in den Fußboden eingelassen. »Sale«.
»Sale« gilt für beiderlei Geschlecht und genau das will nicht in meinen Kopf.

Mindestens dreimal in der Woche höre ich von meiner Frau, dass Männer und Frauen sehr verschieden einkaufen. Wenn dem so ist, was ich annehme, wenn es meine Frau mehrmals in der Woche betont, muss ich fragen, wen spricht Sale mehr an? Männer oder Frauen? Und warum hat man keine zwei verschiedenen Wörter dafür erfunden?

Meine Intuition sagt mir, Sale zielt auf Frauen ab!
Und sofort fühle ich mich als Mann diskriminiert.
Wir werden beim Einkaufen nicht ernst genommen. Vielleicht in einem Baumarkt, ok. Da sah ich aber so ein Schild mit »Sale« drauf noch nie, und ich gehe oft in Baumärkte.

Was kauft der Mann in einem Einkaufszentrum, wo überall »Sale« steht? Er rennt in den Elektronikmarkt und fühlt sich fast so wohl, wie in einem Baumarkt.
Dann daddelt er an einem Dutzend Spielkonsolen rum, bewundert eine Stereoanlage, so teuer wie ein Mittelklassewagen, und kauft schließlich ein Sechserpack Mignon-Batterien, die kann man immer gebrauchen.

Anschließend geht er an den Dönerstand auf ein Bier und einen Döner natürlich.
Wenns hoch kommt beguckt er sich in einem Sportgeschäft noch ein paar Laufschuhe, die er sowieso nicht braucht und trifft sich danach mit seiner Frau im Café gleich nebenan.
Er nimmt durch das Fenster das Schild »Sale« bedrohlich wahr und ärgert sich immer noch über die Diskriminierung.
Dann muss er auch noch drei Einkaufstüten seiner Frau schleppen, auf denen in großen Lettern »Sale« steht.


12.) Beim Autokauf

Irgendwann braucht es ein neues Auto. Was nicht heißt, dass es ein Funkelnagelneues sein muss. Da gibt es jede Menge nicht ganz, aber fast Neue, und nicht mehr ganz so neue, aber irgendwie schon neu. Dann gibt es die gut Gebrauchten, die ja nicht mehr neu aber auch noch nicht alt sind. Die Angebote sind unüberschaubar. In diesem Dschungel kannte ich mich noch nie aus.

Jedenfalls hatte der Alte seine Kilometer auf dem Buckel. Treu und brav tat er all die Jahre seine Dienste, er sprang immer an, wenn er anspringen musste und er beförderte uns zuverlässig von A nach B, manchmal auch nach C und wieder zurück.
Nun war es abzusehen, dass Probleme kommen. Der Boden war an- wenn nicht durchgerostet. Eine riesige Reparatur rechnete sich nicht mehr.  So war der nächste TÜV nicht zu schaffen. Schweren Herzens entschlossen wir uns ihn abzugeben. Ein Neuer musste her!

Das sagt sich so leicht! Da stehst Du als einfacher Rentner vor der gesamten Autoindustrie und bist heillos überfordert.
Erst mal, dachten wir, wir hätten klare Vorstellungen von dem Neuen. Er kann ruhig eine Nummer kleiner sein, schließlich sind wir nur zu zweit und Camillo ist auch nicht der Größte. Also wendeten wir uns dem »unteren Segment« der Personenkraftwagen zu.

Heute bietet ja jede Automarke so einen Zwerg an. Wir durchforsteten all die Klein- und Kleinstwagen, riefen Internetseiten auf, konfigurierten unser zukünftiges Auto und wurden nicht schlauer. Wenn schon alleine zehn verschiedene Alufelgen zur Auswahl stehen, bin ich überfordert.

Ich sage es ganz offen und ehrlich. Mein Herz schlug die ganze Zeit für einen MINI Cooper, wenn da nicht die Hüftgelenke gewesen wären. Die konnten sich damit überhaupt nicht anfreunden und verlangten ein Gefährt, in das man kommod, also gelenkfreundlich einsteigen kann.

Schließlich hatte ich die Idee, die den Durchbruch brachte. Ich kontaktierte meinen Jüngsten, der ist vom Fach.

Unseren Wunsch nach was Kleinem, aber Feinem mit gediegenem Éinstieg belächelte er.
»Papi!«, sagte er, »tut Euch das nicht an. Ihr braucht was Solides und keine Nussschale.«
Ob er wirklich »Nussschale« sagte, weiß ich nicht mehr so genau, es ging aber in die Richtung.
»Schaut’s doch mal beim Greineder vorbei!«

Am nächsten Tag schauten wir. Und dann schaute ich, weil ich so schnell gar nicht schauen konnte.
Meine Frau Doris war noch nicht ausgestiegen, da wusste sie schon, welches Auto wir kauften. Das ging rucki-zucki!
So einfach kann Autokauf sein!
Hinfahren; der iss'es!; aussteigen; genau, der iss'es!; reingehen; alles klar machen; Tag’s drauf den Neuen abholen.

Noch nie in meinem Leben kaufte ich so rasant ein Auto. Und trotzdem konnten die Hüftgelenke restlos befriedigt werden.


13.) Nach dem Besuch eines Biergartens

Biergarten ist nicht nur Biertrinken, Biergarten ist Freunde treffen, zusammensitzen, vom Wandern erholen, Brotzeit machen, Flirten. In meiner Sturm-und-Drang-Zeit sind mir im Biergarten die besten Flirts gelungen. Kultur, ja Trinkkultur hat ein Biergarten auch, Kultur ist alleweil in so einem Biergarten.
Die Kunst einen Radi fachgerecht zu schneiden ist Kunst und eine Herausforderung. Nicht mit dem halbautomatischen Radischneider, nein einfach mit dem Taschenmesser.

Ich löste immer eine kleine Revolution aus, wenn ich mir einen Radi bestellte und die Kellnerin bat, mir diesen Radi nicht geschnitten zu bringen.
Ein Raunen ging durch die benachbarten Biertische. Verstohlene Blicke zog ich auf mich. War der Radi erst in seiner unschuldigen und unversehrten Pracht serviert, dann zückte ich mein Taschenmesser.

Übrigens ein ganz besonderes Messer. Kenner der Taschenmesserszene werden beim Nennen der Klingenschmiede ein leises »Wow« hauchen. Es ist ein MOKI-Messer mit nur einer Klinge, sonst nichts drumherum, ausser einer phantastischen Verarbeitung.

 Am Nebentisch wurden die Hälse länger. Der will doch nicht etwa mit dem Taschenmesser, geht das überhaupt?

Zum besseren Verständnis, da wurden keine Radischeibchen runtergeschnitten. Es wurde ein Schnitt nach dem anderen in einem bestimmten Winkel so zueinander gelegt, dass der Radi in seiner ganzen Länge als Girlande aufgeschnitten auf dem Teller lag. So entstand eine Art Ziehharmonika aus einer zusammenhängenden Radigirlande.

 Nach den ersten Schnitten hörte ich verhaltenen Applaus von den Nebentischen. Die Kellnerinnen standen in respektvoller Entfernung und beobachteten meine filigrane Arbeit.

Radi in dieser Form zu schneiden ist keine Küchenarbeit, das ist hohe Kunst, ich erwähnte es schon weiter oben.

Ein Zehnjähriger stellte sich unmittelbar vor meinen Tisch. Ich wusste nicht, was ihn mehr interessierte, der Radi oder mein Taschenmesser.

Mit dem Salzstreuer würzte ich die Radigirlande ein. Bald war ich umringt von lauter g'standenen Urbayern, die mir ihre Ehrerbietung entgegenbrachten.
Einer kam aus Augsburg, einer aus Salzburg, aus dem Rheinland waren gleich drei dabei, alle fesch in Hirschledernen und Trachtenjanker, die Haferlschuh nicht zu vergessen.

Ein japanisches Ehepaar starrte wie gebannt auf meinen Teller. Er filmte die Prozedur und sie zeigte ihr Entzücken durch helle kurze Schreie, dazwischen rief sie immer wieder ein kurzes Wort, wahrscheinlich auf Japanisch, weil ich es nicht verstand.

Die beiden trugen keine landestypische Kleidung. Wenn die Schlitzaugen nicht gewesen wären, hätte man sie auch für Australier oder Canadier halten können.

Nach einem kräftigen Schluck schnitt ich das erste Stück Radi aus meinem Kunstwerk und verputzte es zusammen mit einer Brez'n.

Mein Taschenmesser wanderte zurück in die Hosentasche, ein zweites Bier war bei der Kellnerin in Auftrag gegeben. Frisch gestärkt flirtete ich jetzt mit meiner Frau, die mit den Enkelkindern vom Brotzeitstand zurückkam, in jeder Hand einen Teller mit maschinell geschnittenem Radi.
Ich verstand die Welt nicht mehr.


14.) Über den Sommerregen

Es machte Riesenspaß durch den Regen zu rennen. Er konnte nicht heftig genug vom Himmel fallen. In den steilen Gassen schoss das Wasser herunter und wir stauten es mit Matsch und allem Dreck, den wir drumherum fanden.

Nass bis auf die Haut waren wir glücklich, wie nur Kinder glücklich sein können.

Niemand holte uns ins Haus und ermahnte uns nicht im Regen zu spielen. So ein richtiger Sommerregen war für uns Kinder wie geschaffen.
Outdoorkleidung, regenundurchlässig, atmungsaktiv, kannten wir nicht. In kurzen Hosen und barfuß tollten wir pitschepatschenass herum.

Vom sauren Regen war damals nie die Rede. Wir wussten nur, dass Regenwasser besonders weich war. Wir genossen es, knöcheltief im Matsch herumzualbern.

Vor Blitz und Donner hatten wir einen Heidenrespekt. Mit diesen Naturgewalten wollten wir uns nicht anlegen.

Bei uns zuhause wurden bei Gewitter Kerzen bereitgelegt. Elektrogeräte gab es noch keine und der Stecker des Radios wurde aus der Steckdose gezogen.

Solange das Gewitter tobte, wurde nicht gegessen, wer schlief wurde aufgeweckt.
Wir alle saßen zusammen um den Küchentisch und meine Großmutter sprach laut ein Gebet:
»Herr, verschone uns vor Hagel, Blitz und Sturm ...!«
An diese Worte erinnere ich mich ganz genau.

Einmal in der Nacht wurde unser Dach bei einem heftigen Sturm teilweise weggerissen. Mein Großvater und mein Vater versuchten die ganze Nacht, Ziegel und Gebälk zu sichern.
Am nächsten Morgen sahen wir das Ausmaß der Verwüstung.
In dieser Stunde lernte ich von meiner Großmutter, was Glaube und Zuversicht sind. Mit Tränen in den Augen sagte sie zu uns:
»Dankt unserem Herren, wir sind unversehrt, dankt ihm, dass kein Blitz eingeschlagen hat, sonst säßen wir alle nicht mehr hier!«
Das war bei meiner Großmutter keine aufgesetzte Frömmelei, das war tief verwurzelter Glaube.

Als Kind wusste ich, sie schloss mich jeden Tag in ihr Gebet mit ein.
Genau so war es während meines Studiums. Ich wusste, meine Großmutter betete für mich. Ich war dankbar dafür.

Als sie starb, entstand eine riesige Lücke in meinem Herzen. Aber ich nahm ihre Zuversicht und ihren Glauben mit in mein Leben, bis heute!


15.) Beim Aufbrühen eines Kräutertees

Das passt gut zusammen, Rentner und Kräutertee. Das hat so was behäbig Opahaftes. Teetasse, Ohrensessel, Filzpantoffel, Strickweste und Pulswärmer.

Das war einmal Freunde!

Heute fahren Rentner Harley Davidson, gehen ins Fitnessstudio, machen Survivaltraining und für das Andere gibt es Viagra und Co.!
So sieht’s aus, meine Damen und Herren.

Da bekommt der Kräutertee eine ganz andere Ausrichtung. Er wird zum Kultgetränk, zum Anti-Aging-Gesöff. Kräutertee ist in! Wenn’s den jetzt noch mit Wasser aus Heiligenbrunn aufbrühen, bekommen sie die ewige Jugend.

Das ganze Teetrinken hat sich doch radikal geändert. Wobei bei uns in Niederbayern der Hype nicht allzu doll ist.
Aber, die Teetrinker werden mehr, das ist irgendwo und irgendwann statistisch nachgewiesen.
Man kann ja alles irgendwie statistisch nachweisen.

Früher war das mit dem Tee ganz anders. Bei uns zuhause gab es Pfefferminztee. Erst mal einfach so zum Trinken. Dem haftete immer sowas medizinisch verschnupft Kränkelndes an.
Wenn man so eine kleine Verstimmung hatte, so was im Magen oder Darm, dann gab es Pfefferminztee, aber ohne Zucker. Der half auch bei Schnupfen und überhaupt bei allen anderen Erkältungen.

Wurde die Sache schlimmer und man lag richtig krank darnieder, dann wurde die Kamille hervorgeholt. Wir hatten welche im Garten angepflanzt. Da war nichts mit Teebeutel und so. Die gepflückten und getrockneten Kamillenblüten wurden überbrüht und das Ganze heiß getrunken. Selbstverständlich ohne Zucker, man war schließlich wirklich krank.

Es gab noch eine Anwendung bei diversen Krankheiten der schlimmeren Sorte. Heute sagen wir Nebenhöhlenaffektionen dazu. Da kam die Kamille in eine Schüssel mit heissem Wasser, dann wurde der Kopf drüber gehalten und anschließend Schüssel und Kopf mit einem Handtuch zugedeckt. Jetzt musste tief ein- und ausgeatmet werden.
Das half, oh Wunder das half.

Für Bauchgrimmen aller Art, Hartleibigkeit und Durchfall gab es den Fencheltee. Der wurde aber nur bei den ganz schlimmen Formen hergenommen. Bei den einfacheren Erkrankungen tat es der Pfefferminztee allemal.
Zucker im Tee war immer dann verboten, wenn er therapeutisch angewendet wurde.

Schwarztee, Grüntee und was weiß ich noch für Sorten, spielten keine Rolle. Die meisten kannte man nicht mal.

Die Erwachsenen hatten bei ihren Wehwehchen noch eine Möglichkeit, nämlich »Klosterfrau Melissengeist«. Das war kein Tee, sondern ein Hochprozenter. Der wurde innerlich und äußerlich angewendet. Bei Unpässlichkeiten der inneren Art, wie Bauchgrimmen und Flatulenz wurde er mit Wasser verdünnt geschluckt. Bei Kopfschmerzen von außen an die Schläfe gerieben, natürlich pur. Uns Kindern war der strengstens verboten.

So ändern sich die Zeiten. Heute fressen wir bei jedem quergelegten Furz gleich Antibiotika.
Am allermeisten wurde sowieso Kaffee getrunken. Bohnenkaffee, allerdings, war nicht jeden Tag. Dafür gab es »Lindes«. Als Bub, ich erinnere mich noch ganz genau, las ich oft auf der Lindes-Packung das ominöse Wort. »Kaffeesurrogatextrakt«, für mich damals ein Wahnsinnswort und wir hatten sowas zuhause. Später kam »Caro-Kaffee« auf.
Apropos Bohnenkaffee. Erinnern Sie sich noch an die Tropfenfänger? Diese runden Schwämmchen, mit Gummizug und hinten dran irgendwas mit Schmetterling? Sowas wurde nur bei der »guten Kanne« genommen, der eventuell noch eine wattierte Warmhaltehaube aufgesetzt wurde.

Es war eine andere Welt!
Und ich, heute Rentner, habe es am eigenen Leibe erlebt!

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