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     Kurzgeschichten (2) (bitte runterscrollen)

 

- Silvester - eine Nachlese

- Lausbuben

- Von Buckelpisten und Germknödel   

- Die Mondlandung

Silvester - eine Nachlese
 

Die Feuerwerker unter uns hüpfen schon seit Stunden im Garten umher und basteln an Raketenabschussrampen herum. Ein paar Möchtegernrambos nehmen die Bar in Beschlag und mutieren allmählich zu Kampftrinkern. Sie werden den Jahreswechsel, wenn überhaupt, nur schemenhaft mitbekommen.
Die feine Gesellschaft sitzt im Edelrestaurant und lässt sich ein Fünf bis Sieben-Gänge-Menü servieren. Es muss edel und teuer sein, oft ist er nur Durchschnitt und Nepp.
Nur ganz wenige können sich der Massenhysterie Silvester entziehen. Die sitzen dann gemütlich zuhause und schauen, wie jedes Jahr, »Dinner for One« an.


Währenddessen ordnen die Feuerwerker all ihre Utensilien, prüfen noch mal die vermeintliche Flugbahn ihrer Raketengeschosse und sind dabei ganz aufgeregt.
Die Ersten an der Bar lallen schon, lockern ihre Krawatten, wenn sie überhaupt welche anhaben.
Unter der feinen Gesellschaft gibt es den einen oder anderen, der an seinem trockenen Chardonnay nippt und sich nach einem Weißbier sehnt.


Mitternacht rückt näher, der Hochnebel wird dichter, die Pyromanen schauen besorgt in die trübe Suppe und prüfen mit Taschenlampen, wie tief der Lichtstrahl in den Nebel eindringt. Die Gesichter werden länger und der Nebel wird dichter.
An der Bar kommt es zum ersten Crash. Zwei Whiskygläser und ein Kerzenleuchter gehen zu Bruch und die obligatorischen gesalzenen Erdnüsse liegen über dem Boden verstreut. Einer der Rambos kotzt neben das Waschbecken auf der Herrentoilette, währenddessen eine Dame der feinen Gesellschaft in der Damentoilette ihren Lidstrich nachzieht und verstohlen in ihre Handtasche schaut, ob sie auch die Kondome dabei hat.


Der Silvestermuffel ist, wie jeden Abend, vor dem Fernseher eingeschlafen.
Im Edelrestaurant werden die Sektkübel mit Eis gefüllt, dabei meint der Oberkellner, letztes Jahr sei mehr Champagner bestellt worden.
Im Garten stehen die Raketen in Reih und Glied in ihren Abschussrampen. Der Nebel ist gnadenlos.


Das Schnarchen vor dem Fernseher wird lauter.


Die Lady ist schon wieder auf der Damentoilette, diesmal wird das Lipgloss erneuert.
Endlich, hurra, das neue Jahr. Prosit Neujahr!


Und nun geht es Schlag auf Schlag! Die ersten Raketen zischen in den Himmel und verpuffen ungesehen im Nebel. Nichts, gar nichts sieht man, nur eine Einzige will nicht so richtig starten, sie wummert am Boden entlang, rüber zum Parkplatz und lässt drei blaue Kugeln von sich, bevor sie unter einem SUV in sich erstirbt.


Bei der feinen Gesellschaft wird der Walzer »An der schönen blauen Donau« gespielt. Unsere Lady geht forsch auf ihren heimlich Auserwählten zu, dabei fährt sie mit der Zunge über ihr frisch aufgelegtes Lipgloss und sieht, wie er seinen Begleiter Manni umarmt und küsst, um gleich danach seine Verlobung bekannt zu geben.

 

Wutentbrannt stürmt sie an beiden vorbei, hinaus ins Foyer und rumpelt mit einem Möchtegernrambo zusammen, der sich gerade noch auf den Beinen halten kann. Ihre Handtasche kullert auf den Boden vor die Füße der Kampftrinker. Das Päckchen Blausigel gefühlsecht mit extra Noppen liegt in aller Unschuld inmitten der gesalzenen Erdnüsse und löst allgemeine Heiterkeit aus.


Draußen ist die letzte Rakete im Nebel verschwunden, und lässt deprimierte Feuerwerker zurück. Derweil rappelt sich der Silvestermuffel vom Fernseher hoch, wundert sich, dass es schon so spät ist und geht zu Bett.


Prosit Neujahr

 

 

Lausbuben

»Wer war’s?« Stille. »Ich warte!«
Der Unterton in ihrer Stimme ließ Schlimmes erahnen.
»Feiglinge seid’s! Allesamt Feiglinge!«
Mit einem vernichtenden Blick ging Fräulein Krautwurm auf die Buben zu. Die standen allesamt in einer Ecke des Schulhofes. Es waren Beppi, Maxi, David, Wendelin und Lukas. Alle um die zehn Jahre alt und allesamt hatten sie es faustdick hinter den Ohren.
Nur jetzt schauten sie mit engelsgleicher Unschuldsmiene ihre Lehrerin an, zuckten mit den Achseln und Beppi sagte: »Mir wiss’ma von gar nix Fräulein Krautwurm, von gar nie nix!« Und der Lukas meinte: »Und gewesen sind wir es auch nicht!«
Lukas war erst vor einem Jahr mit seinen Eltern aus der Nähe von Hannover zugezogen. Obwohl er die Mundart mittlerweile perfekt beherrschte, verfiel er bei solch heiklen Dingen ins Hochdeutsche, was bei seinen Freunden enorm Eindruck schindete.


»Ja es mistige Hosenscheißer, glaubt’s Ihr wirklich, ich nehm Euch das ab?!«
Fräulein Krautwurm war eine Hiesige, wie sie leicht an ihrer beherzten Sprache feststellen. In all den Jahren im Schuldienst verstand sie es, ihre Lausbuben zu zähmen. Mit Liebe und der nötigen Strenge formte sie aus ihnen gestandene Mannsbilder. Mit anderen Worten, Fräulein Krautwurm war im Dorf hochgeachtet.
Auch die Buben wussten das. Aber im Überschwang ihrer Jugend blieb es halt nicht aus, der eine oder andere Streich musste ausgeheckt werden. So war es auch dieses Mal.
Zwei Stallhasen vom Postboten Steffel waren blau angestrichen, die Katze der Pfarrersköchin strahlte in Knallgelb und die Ziege vom Pensionisten Huber zeigte sich in Giftgrün.
Struppi, der Hund vom Wirt, eine astreine Promenadenmischung, wurde verschont. Er stromerte schließlich jahraus jahrein mit den Lausbuben umher. Er musste mal als Puma herhalten oder sogar als Werwolf, was gerade beim Spielen angesagt war. Vielleicht stand er sogar Schmiere bei der Aktion.


Fräulein Krautwurm wusste nur zu gut, keiner der Rasselbande würde den anderen verraten. Die hielten allesamt dicht. A bisserl stolz war sie da schon drauf. Aber solch ein Schabernack konnte nicht ungeahndet bleiben.
Mittlerweile wusste das ganze Dorf davon. Die frustranen Waschversuche vom Pensionisten Huber an seiner Ziege entlockte so manchem ein heimliches Schmunzeln. Der herbeigerufene Tierarzt brummelte nur etwas von »es Lausbuben, es Elendige« in seinen Bart, meinte, die Farbe würde mit der Zeit schon wieder abgehen und man müsste deswegen nichts unternehmen. Mit einem schelmischen Grinsen sagte er:  »Solange die Milch nicht grün wird, kannst Du sie hernehmen!«
Die Pfarrersköchin versuchte vergebens Hochwürden dazu zu bewegen, die Frevler zu exkommunizieren.
Nur der Steffel ging die Sache mit der notwendigen Ruhe an. Als Postbote hatte er einschlägige Erfahrung mit seinen Mitmenschen. Jede Aufregung war ihm verhasst, so ließ er seine beiden Stallhasen halt blau herumhoppeln. Die meiste Zeit waren sie eh im Hasenstall.
 
Am Abend wurden die Buben von ihren Vätern ins Gebet genommen. Sie hielten dicht! Selbst die rotblauen Striemen auf Wendelins Oberschenkel hatten da nichts geändert. Als Fräulein Krautwurm diese Striemen bei Wendelin am nächsten Morgen sah, lief sie schnurstracks hinüber zum Ochsenbauern. Der musste sich eine gehörige Standpauke anhören. Gegen einen Klaps auf den Hintern habe sie ja überhaupt nichts einzuwenden, aber grün und blau schlagen, das sei indiskutabel. Wenn Fräulein Krautwurm »indiskutabel« sagte, dann meinte sie es auch so. Jedenfalls stand Wendelins Vater, der Ochsenbauer, mit seinen fast zwei Metern wie ein armer Sünder im Stall vor der Lehrerin, die ihm nicht mal bis zur Schulter reichte.
Die rotgescheckte Bless, sie gab dem Ochsenbauern die meiste Milch, schaute den Gescholtenen mit ihren großen Kuhaugen an, fuhr ihm mit der Zunge über den Unterarm und danach in ihre beiden Nasenlöcher.
Jedes andere Weibsbild hätte er bei so einem Auftritt hochkant aus dem Stall befördert. Aber bei Fräulein Krautwurm traute er sich das nicht.

Die Woche drauf war Fräulein Krautwurm so wie immer. Beppi, Maxi, David, Wendelin und Lukas ahnten nichts Gutes. Dass sich da aber überhaupt nichts tat machte sie stutzig. Nur Fräulein Krautwurm erahnte, was jetzt in den Lausbubenköpfen vor sich ging.
Eine erzwungene Sippenhaft lehnte sie rundheraus ab. Von Davids Vater kam der dumme Vorschlag alle mit Arrest zu bestrafen. Fräulein Krautwurm hatte da eine ganz andere Idee.

Einmal im Monat fuhr Herr Huber mit dem Postbus in die Kreisstadt. Meistens am zweiten Tag, nachdem er seine Pension erhalten hatte. Dort musste einiges erledigt werden. Sämereien für seinen Garten mussten eingekauft werden, bei der Mizzi im schwarzen Ochsen kaufte er sich eine Halbe und eine Brotzeit. Bei schönem Wetter schlenderte er durch die Gassen, bei schlechtem Wetter ging er in die Buchhandlung und schmökerte. Zuletzt schaute er bei seiner alten Freundin Eleonore im Altersheim vorbei. Das tat er schon über viele Jahre. Am späten Nachmittag kam er mit vollbepacktem Rucksack wieder heim ins Dorf.
Er staunte nicht wenig, als er durchs Gartentürl ging. Alle Beete, sie lagen vom Winter her noch brach, waren umgegraben und glattgerecht. Die Wegerl zwischen den Beeten waren feinsäuberlich festgetreten und die Rasenabbruchkante zum Haus hin exakt abgestochen. Das war immer der mühsamste Teil seiner Gartenarbeit. Nun waren alle Beete zum Bepflanzen bereit, ohne dass er einen einzigen Spatenstich selber getan hatte.

Eine Stunde vorher standen Beppi, Maxi, David, Wendelin und Lukas vor Ihrer Lehrerin und meldeten Vollzug.
»Ich bin stolz auf euch Buben, sehr stolz!«
Jeder bekam von ihr einen Bärendreck in die Hand gedrückt, dann rückten sie mit stolzgeschwellter Brust ab.
Dabei hatte Fräulein Krautwurm die Sache mit dem Gartenumgraben nur am Rande erwähnt. Der Herr Huber würde sich von Jahr zu Jahr schwerer tun mit dem Spaten. Er könne doch vor seinem Haus nicht alles brach liegen lassen. Vielleicht würden sich ja ein paar Buben finden, die ...
Alles Weitere nahm seinen Lauf. Für Beppi, Maxi, David, Wendelin und Lukas war es ein Wink mit dem Zaunpfahl, die Sache mit der giftgrünen Ziege wieder gutzumachen.


Auch beim Steffel mit seinen blauen Hasen waren sie zugange. Der alte Hasenstall war schon ziemlich marode und es regnete herein. An einem Nachmittag hatten die Buben einen neuen Hasenstall zusammengezimmert, der eines Sonntagmorgens klammheimlich neben den alten gestellt wurde.


Nur die Pfarrersköchin war unversöhnlich. Sie wünschte jedem, der sie darauf ansprach, die Seuche an den Hals. Über die gotteslästerliche Art, mit der seine Köchin jede und jeden verdammte, erschrak Hochwürden so, dass er sich eine Auszeit nahm und für zwei Wochen zu seiner Schwester ins Allgäu fuhr.


Beppi, Maxi, David, Wendelin und Lukas aber, waren sehr zufrieden mit sich, und schwörten sich gegenseitig nie und nimmer den anderen zu verraten und dann meinten sie noch, dass sie die beste Lehrerin auf der ganzen Welt hätten.

© by Fabrizius

 

 

 

Von Buckelpisten und Germknödeln

 

Es ist schon eine Weile her, als ich meinen ersten Germknödel verdrückte. Mehr oder weniger war es Zufall.Es fing damit an, dass ich sonntagmorgens um Halbsieben in den Bus stieg. Rundherum müde Gesichter, so manche Alkoholfahne waberte mir entgegen. Kaum hatten wir das Ortsschild hinter uns gelassen, stellte sich der Busfahrer vor. Heinrich hieß er, wir wussten es eh schon alle.Irgendwann, als die Straßen schmäler wurden, der Schnee sich höher türmte bogen wir in einen riesigen Parkplatz ein. Dutzende von Bussen standen herum. Es wurden Skier ausgeladen und geschultert, Rucksäcke umgeschnallt. Die Schlange zum Kassenhäuschen schien endlos zu sein. Eigentlich war es kein Kassenhäuschen, sondern eine Wandelhalle aus Beton und Stahl. Ich überlegte schon, ob es nicht sinnvoller sei eine Halbtageskarte für den Nachmittag zu kaufen, als Schorsch, der Skiklubmanager, uns bat, neben dem Eingang zur Jausenstation zu warten.Wie ein Sonnenuntergang lag er auf dem Teller, die Soße lief cremig von allen Seiten an ihm herunter. Winzige schwarze Kügelchen verteilten sich über allem. Unter dem Plakat stand »Tagesmenü, Germknödel 23 öS«Der Schorsch kam zurück und verteilte die Liftkarten.»Alle Sessellifte in Betrieb« stand auf einem Schild neben dem Seilbahneingang. Im Geiste sah ich »Germknödel 23 öS«. Oben am Ausstieg stürzten sich die Menschen mit ihren Skiern, ihren roten und gelben Overalls in die Abfahrtshänge.»Bitte die Pistenmarkierungen nicht verlassen«, darunter war ein kräftiger roter Strich. Unübersehbar prangte das Schild an einem armdicken Holzpfosten. Ich las in Gedanken: »Germknödel 23 öS«.In leichter Hocke lenkte ich meine Skier über den Schnee talwärts und schwang nach wenigen Minuten vor einer Berghütte ab. Da rekelte sich eine Blondine mit Designersonnenbrille auf der Liege, ihr Anorak war offen, darunter ein cremefarbener Pulli, der ihre Rundungen betonte. »Germknödel 23 öS«, dachte ich für mich und lächelte.Die Wintersonne ließ die aufstobenden Schneekristalle in allen Farben schillern. Die Piste wurde buckeliger, ich spürte ein Ziehen in meinen Oberschenkeln, Skigymnastik hätte ich mal machen sollen. Weit drunten sah ich eine Menschenschlange vor dem Lift. Etwas abseits die Jausenstation, auf dem Dach die rot-weiß-rote Fahne der Alpenrepublik. »Germknödel 23 öS«Da stand ich am Pistenrand, das Wasser lief mir im Mund zusammen. Hoffentlich haben die noch welche, wenn ich unten angekommen bin. Die Blondine flitzte vorbei. Ich beeilte mich, hinterher zu kommen.Das Plakat war nicht mehr da! Der Schreck fuhr mir durch alle Glieder. Ich hastete in die niedrige Wirtsstube, Zigarettenrauch und allerlei Düfte stemmten sich mir entgegen. Schweinebraten und Currywurst verschwanden in den Mäulern. An der Theke war Hochbetrieb. Almdudler und Weißbier wurden rübergereicht. Jetzt, endlich: »Einen Germknödel bitte!« Mein Herz hüpfe dabei. Ich zählte 25 Öschi auf die Theke, »der Rest ist für sie!« Endlich, mein erster Germknödel. Er sah noch viel viel schöner aus als auf dem Plakat. Das süße Aroma lockte all meine Sinne. In der einen Hand das Radler, in der anderen den Teller mit meinem Germknödel.»Tschuldigung, ist hier noch frei?« Blaue Augen blitzen mich an, »ja bitte!«, sagte sie, die Designersonnenbrille lag neben ihrem Teller. Der cremefarbene Pullover betonte immer noch. Dann aßen wir unsere Germknödel, bissen auf die winzigen Mohnkügelchen und schleckten das dunkelbraune Zwetschgenmus auf.

 

 

Mondlandung am 20.07.1969 um 21:17 Uhr

Gerade war Mondlandung und wir saßen in der Burgschänke, feierten spontan einen russischen Abend und pfiffen auf die Scheißamerikaner. Das war unsere Antwort auf das Spektakel. Während die halbe Welt in die Klotze stierte und Mondlandung guckte, feierten wir mit russischen Liedern, russischem Wodka, russischer Seele und viel russischer Melancholie. »Briederchen, nastrowje!« Wir spürten die Weite, die Unendlichkeit und die Einsamkeit der russischen Seele und hatten die sibirische Tundra in unseren Herzen. Mein Gott, was für ein herrliches Gefühl!
Und dann kam der Weg nach Hause von der Burgschänke runter ins Dorf. Die Nacht war lau und die Stufen unregelmäßig. Nach einem Fehltritt landete ich sehr sanft und komfortabel in einem riesigen Holunderbusch. Ich wippte ein paar Mal auf seinen ausladenden Ästen und sah droben am nächtlichen Firmament den zunehmenden Mond im ersten Drittel. Ich musste Lachen, immerzu lachen, es gab kein Halten. Da droben stolperten ein paar Amis im Mondstaub herum und hier unten auf unserer Mutter Erde tobte das Leben. Nachdem ich lange genug gelacht hatte, rappelte ich mich auf und ging mit einem russischen Lied auf den Lippen nach Hause. Die Morgendämmerung brach gerade an.

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